Petra Ramsauer
Angst
Unser aller Ängste
Kriegsbericht-Erstatterin Petra besucht mich in unserer neuen Podcast Lounge. Sie ist klein, was ihr schon mal das Leben gerettet hat, und eine ungemein spannende Persönlichkeit. Das ist ein Auszug aus einem hochinteressanten Gespräch über Angst.
Sie war 23 mal im Irak, ist dort knapp dem Tod entkommen, hat in Syrien Fassbomben erlebt und unbeschreibliches Grausamkeit und Leid. Wie geht man mit solchen Erfahrungen und der Todesangst um? Darüber sprechen wir in dieser Stunde genauso wie über die Ängste in uns allen, ob vor Corona, den Folgen, Krankheiten und die berechtigte Angst über ein noch viel schlimmeres Thema als Corona: die drohende Klimakrise. Lest hier einen Auszug des Podcast als Blogpost und hört euch unbedingt auch den ganzen Podcast an.
Der Talk
Sie waren im Irak, in Syrien und in vielen anderen Kriegsgebieten. 1300 Kolleg:innen haben nicht überlebt. Sie waren auch nah am Tod, in Mussul 2017.
Da waren Frauen und Kinder nahe dem Flughafen, denen wir helfen wollten. Dann der Beschuss. Und erst viel später wurde mir klar, wie knapp es war.
Wie schützt man sich vor der Angst?
Mit viel professioneller Aufarbeitung. Und Vernunft. Wenn ich tot bin, kann ich niemandem mehr eine Stimme geben. Ich hab mich auch schon mal ins Auto gesetzt und gewartet. Wenn du ein komisches Gefühl hast, haben es alle. When in doubt, do nothing.
Sie sprechen im Buch von moralischer Verwundung der Reporter.
Weil man das Gefühl hat, viel mehr tun zu müssen. Das passiert aber nicht. Das Leid dieser Menschen löst nicht dasselbe Entsetzen aus wie Leid bei uns. Würde jemand von einem Kreuzfahrtschiff fallen, wäre es ein Riesenaufruhr. Da, wo Kriegsverbrechen passieren, egal von wem, gehören sie angeprangert. Dazu kam der grausame Tod einiger Kollegen durch den IS.
Ängste machen Angst
Sie sprechen auch von angstschockgefrorenen Kinderseelen.
In Aleppo- einer zuvor sehr westlichen Stadt – hab ich eine Mutter getroffen, die meinte, sie weiß genau, dass aus ihrem 11Jährigen nichts mehr werden kann. Wir haben in der Pandemie gelernt, wie wichtig Schule ist, und diese syrischen Kinder haben seit 2012 keine mehr.
Sie sagen, Sie sind nicht traumatisierte, haben aber 2015 bei sich zuhause etwas Gegenteiliges erlebt.
Jeder Reporter hat Flashbacks. Und als bei mir Bauarbeiter waren, die überraschend ein Fenster herausgerissen haben, dachte ich geschockt: jetzt haben sie mich ausgebombt! Manchmal reicht ein Geruch und die Angst ist da.
Es mit seinen Ängsten aufzunehmen macht aber auch Angst!
Kirkegaard meinte schon, der Blick auf die vielen Möglichkeiten macht Angst. Heirat? Trennung? Jobwechsel? Das Neue macht uns Angst, lieber bleiben wir beim bekannten Schrecken. Das Lebensglück entscheidet sich danach, ob ich dieser Angst nachgebe.
Kremayr & Scheriau 2020
Todesangst und nicht geliebt zu werden sind die größten Angsttrigger!
Der Mensch ist sozial, es ist überlebenswichtig zur Gruppe zu gehören. Nicht geliebt zu werden ist bedrohlich. Das macht Stress und der kann krank machen. Nagende Stimmen vor Versagen kennen wir. Diese Angst zumindest zuzulassen kann helfen.
Sie hatten einen Tumor. Wie gehen Sie damit um?
Die Zerbrechlichkeit wird man nie mehr ganz los. Die Endlichkeit ist nah. Gib den Jahren leben, nicht dem Leben Jahre.
Was hat dieser frühe Tumor mit 26 ausgelöst?
Ich hab meinen Job geschmissen und bin Kriegsreporterin geworden. Auf die Frage warum, sage ich immer: ich werde sowieso irgendwann einmal sterben, aber ich kann verhindern, den Tod auf der Couch abzuwarten.
Brand-Beschleuniger Corona
Es gibt aber auch spontane Angst, wenn es plötzlich wo kracht zum Beispiel.
Die Angst rüttelt unser Alarmsystem wach und das Angstzentrum versetzt uns in Alarmbereitschaft. Flucht oder Kampf. Intuitiv.
Sie zitieren Gehirnforscher Gerhard Hüther, auch schon Podcast-Gast bei mir übrigens, der meint: wir brauchen Angst, um uns weiterzuentwickeln.
Er nimmt die Angst vor der Angst. Sie legt neue Pfade im Gehirn, das ja nicht starr ist.
Corona. Ein Drittel der Weltbevölkerung war zugleich im Lockdown - und wir waren alle gleich.
Corona hat latente Ängste wie Jobverlust oder gute medizinische Versorgung eingelöst wie ein Brandbeschleuniger. Auch Impfungen. Ich bin vielgeimpft, mache mir aber zum ersten Mal Gedanken über die Folgen.
Das war ein Auszug aus dem Podcast mit Petra Ramsauer. Hört euch den ganzen an, kommentiert, gebt Likes oder abonniert ihn gerne!
Bonus-Track
Gerade gelesen habe ich…
Achtsam morden (Trilogie)
Karsten Dusse
Morden nach den Gesetzen der Achtsamkeit. In Band 2 mit Hilfe seines inneren Kindes. Diese drei Bücher sind genial unterhaltsam, aber auch sehr lehrreich. Mal gesehen vom Morden, ist da viel dabei, über das ich angefangen habe nachzudenken. Großartig (Heyne)
Der alte König in seinem Exil
Arno Geiger
Weil es mich leider gerade betrifft. Unglaublich feinfühlig, verständnisvoll, humorvoll und ehrlich erzählt Arno von der Alzheimer Erkrankung seines Vaters und was das mit ihm und der Familie macht.
Nicht nur für Betroffene großes Kino. (Hanser, 2011)
Ohne Schuld
Charlotte Link
Ich komme nie an einem Neuen von Charlotte Link vorbei. Und ich mag ihre schwierige Polizistin Kate Linville, die durch ihr Leben strauchelt und dabei komplexe Fälle löst.
Diesmal geht es um alte Ängste. Kate muss klären, was ein Schussattentat in einem Zug und ein Fahrradunfall miteinander zu tun haben. (Blanvalet 2020)